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Bauernland in Bonzenhand

Artikel „Der Spiegel“, 25. Oktober 2010

Bauernland in Bonzenhand – In Ostdeutschland herrscht Goldgräberstimmung: Aktionäre und Privatinvestoren kaufen im großen Stil Land und spekulieren auf steigende Preise. Viele Bauern können nicht mehr mithalten.

von Markus Deggerich

Wenn Wolfgang Beer an die Herren im dunklen Anzug denkt, steigt die Wut in ihm hoch. „Es ist schlimmer als zu Wende-Zeiten, was hier gerade passiert“, schimpft er.

Finanzmanager auf seinem Bauernhof – das gab es früher nicht. Neuerdings aber fahren regelmäßig Investoren vor und machen Angebote, die man eigentlich nicht ablehnen kann. Sie wollen Land, zuletzt 200 Hektar, und sie sind bereit, Höchstpreise zu zahlen.

Beer ist Geschäftsführer der Gerbstedter Agrar GmbH in Sachsen-Anhalt; wenn er in Gummistiefeln und Windjacke seinen Betrieb vorführt, steht ihm der Stolz im Gesicht, über die Aufbauarbeit, die er hier nach dem Ende der DDR geleistet hat. Im September lief nach 18 Jahren ein Pachtvertrag für 200 Hektar aus, das Land, das dem Bund gehörte, stand zum Verkauf. Vor neun Monaten lag der Preis noch bei 9 500 Euro pro Hektar, dann stieg die Nachfrage nach Ackerland auf Rekordhöhen. Inzwischen hat er sich fast verdoppelt, auf 17 500 Euro.

„Diese Preise sind doch durch Landwirtschaft nicht mehr zu erwirtschaften“, sagt Beer, „über dem Land im Osten kreisen die Geier“. Trotzdem will er weitermachen, die Felder im Mansfelder Land sind sein Leben. Rund 1,7 Millionen Euro musste seine Agrar GmbH aufnehmen, um wenigstens hundert Hektar zu retten für Rüben und Getreide. Kaufinteressenten schickt Neu-Eigentümer Beer mit knappen Worten vom Hof.

Ähnlich läuft es überall in Ostdeutschland. Zwischen Ostsee und sächsischer Schweiz sind die Preise für Wald, Acker und Weiden massiv gestiegen, zum Teil um bis zu hundert Prozent. Im großen Stil kaufen sich nun millionenschwere Fondsgesellschaften ein sowie branchenfremde Konzerne und vermögende Privatleute, die ihr Vermögen diversifizieren wollen. Kleine und mittelständische Bauern wie Beer klagen deshalb lautstark über die jüngste Bodenreform. Hieß es bei der Zwangsenteignung in der DDR noch „Junkerland in Bauernhand“, fürchten sie nun das Großkapital. Motto: Bauernland in Bonzenhand.

Ein globaler Trend hat damit die deutsche Landwirtschaft erreicht. China kauft Anbauflächen in Afrika, internationale Agrarfonds und selbst Banken wie Goldman Sachs investieren in Äcker von Neuseeland bis Südamerika, immer geht es um steigende Preise für Böden und Bio-Rohstoffe – jetzt eben auch in der Magdeburger Börde und der Uckermark.

Gleich mehrere Faktoren befeuern die Spekulation: eine wachsende Weltbevölkerung, die ernährt werden muss, der erhöhte Fleischkonsum in Schwellenländern, die Förderung regenerativer Energien wie Biogas, für die große Anbauflächen nötig sind. Nicht zuletzt trieb auch die Finanzkrise Anleger in reale Werte wie Wälder und Felder. Da stört es nicht einmal, dass die EU-Kommission aktuell plant, die großzügigen Agrarbeihilfen für Ostdeutschland ab 2014 deutlich zu senken, was die Produktionsbedingungen verschlechtert. Die Anziehungskraft des „globalen Megatrends“ Landwirtschaft ist stärker.

„So funktioniert eben Marktwirtschaft“, sagt Dirk Meier Westhoff: „Die Nachfrage steigt, das Flächenangebot stagniert oder schrumpft, also steigen die Preise.“

Meier Westhoff ist Bodenhändler, seine Agrarboden GmbH im westfälischen Beckum sucht für kaufkräftige Kunden geeignete Ländereien, und die sind im Osten vergleichsweise einfach und günstig zu bekommen. „Der Flächenhunger bei Investoren ist ungebrochen“, sagt Westhoff, „viele Landwirte können da nicht mehr mithalten.“

Dass die Bodenspekulation überhaupt möglich wird, hat viel mit der Geschichte zu tun, denn die Eigentumsverhältnisse in Ostdeutschland haben sich in den vergangenen 65 mehrfach radikal verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg enteignete zunächst die sowjetische Besatzungsmacht Großgrundbesitzer mit mehr als hundert Hektar und verteilte Land an Flüchtlinge und Landarbeiter. In der DDR mussten die neuen Landbesitzer und Bauern später ihre Anbauflächen in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) einbringen.

Nach der Wende bekamen sie es zum Teil zurück, viele Nutzflächen gingen aber in den Besitz des Bundes über. In dessen Auftrag privatisiert seit 1992 die Bodenverwertungs- und verwaltungs GmbH (BVVG) das Land.

Lange konnten LPG-Nachfolger oder Alteigentümer Ländereien zu Vorzugspreisen kaufen. 2010 jedoch hat die EU diese Praxis beendet. Da in den nächsten zwei Jahren viele Pachtverträge auslaufen, kommen nun riesige Flächen auf den Markt, in MecklenburgVorpommern sind es rund 134 000 Hektar.

Für den Bund wird die ostdeutsche Bodenspekulation damit zum glänzenden Geschäft, allein für dieses Jahr dürfte die BVVG dem Bundesfinanzminister mehrere hundert Millionen Euro aus dem Flächenverkauf überweisen.

Auf dem Land allerdings sorgt die erneute Bodenreform – diesmal unter kapitalistischem Vorzeichen – schon wieder für eine ziemlich weitgehende Umkehr der Besitzverhältnisse.

Denn die neuen Großgrundbesitzer kommen aus allen möglichen Branchen, oft genug sind sie erst seit der Wende oder später in der Landwirtschaft tätig. Da ist die Familie Rethmann, die ihr Geld eigentlich mit einem westfälischen Müllunternehmen verdient. Sie kauft in Mecklenburg-Vorpommern bereits über 7000 Hektar im Landkreis Parchim. Die Familie Fielmann (Brillen) deckte sich ebenso mit Äckern ein wie der Möbelfabrikant Steinhoff und ein Erbe des Industriellen-Clans Dornier.

Daneben drängen auch immer mehr Fonds in den Osten, etwa die niederländische TonkensGruppe oder die Hamburger Agroenergy, die für den Flächenkauf bei Investoren Millionen einsammeln will.

Kaum jemand aber investiert so viel wie Siegried Hofreiter. Der Hamburger bezeichnet sich als „erster Bauer an der Börse“, seine KTG Agrar AG vermarktet er unter Kleinanlegern als krisensichere Geldanlage. 32 Millionen Euro brachte 2007 der Börsengang in Frankfurt ein. Erst vergangenen Monat brachte Hofreiter eine Unternehmensanleihe an die Börse, die geplanten 25 Millionen Euro waren bereits nach drei Tagen überzeichnet, insgesamt wurden 50 Millionen Euro platziert.

„Gegessen wird immer“, verspricht Hofreiter seinen Investoren. Mir 30 000 Hektar wurde Hofreiter in kurzer Zeit Europas größter börsennotierter Bauer; 25 000 Hektar liegen in Ostdeutschland. Mit dem romantischen Bild vom Bauern und seiner Scholle hat das Geschäftsmodell nichts mehr zu tun, riesige Getreidefelder, Raps- und Maisplantagen werden wir Industrieanlagen betrieben.

Die im Osten ohnehin schon dominante Struktur von vielen Flächen in wenigen Händen wird damit verfestigt. Helmut Klüter ist Geograf an der Universität Greifswald. Er rechnet vor, dass in Mecklenburg-Vorpommern schon jetzt 14 000 Quadratkilometer landwirtschaftliche Nutzfläche auf nur 5000 Betriebe verteilt sind: „Daran merkt man schon, wie stark die Flächenkonzentration fortgeschritten ist.“

Weil die Großagrarier härter durchrationalisieren können, hat die neue Bodenreform auch kaum Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt. Dafür aber auf die Umwelt: Mit dem Hang zu großen Maismonokulturen für Biogasanlagen und gigantischen Tierfabriken befürchtet Klüter „Wüstungen“ und „Amerikanisierung“, die ganze Landstriche für den Tourismus zunichtemachen. Allein im Dörfchen Alt Tellin wurde die Schweinefabrik eines holländischen Investors für 250 000 Ferkel pro Jahr genehmigt, die voraussichtlich 63 000 Kubikmeter Gülle produzieren wird. Für weitere 17 Großanlagen allein in Mecklenburg Vorpommern laufen bereits Genehmigungsverfahren.

Denn wer das Land hat, hat das Sagen. Die kleinen Dörfer im Nordosten werden von der Entwicklung oft überrollt, häufig gibt es bei im Schnitt 1900 Einwohnern nur einen ehrenamtlichen Bürgermeister, aber keine eigene Verwaltung, die Genehmigungen prüft. Investoren haben da oft leichtes Spiel, noch dazu, wenn die Aufkäufer aus dem Westen ein paar Arbeitsplätze in Aussicht stellen und Gemeinden gegeneinander ausspielen.

Die Landverteilung sei inzwischen „feudalistischer als 1910, als Mecklenburg noch Großherzogtum war“, sagt Wissenschaftler Klüter. „Aber selbst damals war die Macht der Großagrarier nicht so groß wie heute“.

Vielerorts regt sich deshalb Widerstand. „Die Landwirtschaft wird immer mehr zum Rohstoffmarkt“, sagt Michael Wimmer. Er ist Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg, die sich energisch gegen die neuen Großgrundbesitzer wehrt.

In Gebieten wie der Uckermark haben Ökobauern bis vor kurzem einen großen Teil der Flächen bewirtschaftet, viele von ihnen als Pächter, ihr Geschäft ist nun in Gefahr. Einer von ihnen ist Stefan Palme aus Angermünde. Palme schätzt, dass 70 Prozent der Ackerflächen, die zuletzt in der Uckermark zum Verkauf standen, von Investoren erworben wurden.

Zwar haben die Pächter ein Vorkaufsrecht. Außerdem sollen Äcker in der Regel nur an Landwirte verkauft werden. Aber was tun, wenn man sich die neuen Hektarpreise nicht leisten kann? Wie sollen sich die Pächter wehren, wenn Investoren – was viele Altbauern vermuten – bei den BVVG-Deals Schein-Landwirte als Strohleute vorschieben?

„Da steht dann ein Anwalt auf dem Hof und sagt: Ich habe einen zweistelligen Millionenbetrag und will ihren Hof kaufen“, sagt Palme. „Auf unseren Bioböden würde dann ein Investor einfach Mais für Biogas anbauen lassen.“

Nie hätte Palme allein die 1,7 Millionen Euro für den Kauf der von ihm gepachteten 240 Hektar aufbringen können. Mit anderen Biobauern hat er sich deshalb zusammengeschlossen und einfach die Methoden der Investoren kopiert. Die Uckermärker brachten ihre Pachtflächen in einen Pool ein und legten mit der auf Ökogeschäfte spezialisierten Bochumer GLS Bank einen eigenen Fonds auf.

Innerhalb von drei Monaten kamen fast 13 Millionen Euro zusammen. Die Bank erwarb das Land und verpachtet es nun zurück an die Biobauern, freilich auch dort zum doppelten Preis, aber die Bauern konnten so ihre Flächen für den Ökoanbau erhalten.

Das beste Geschäft bei der laufenden Umverteilung machen allerdings oft weder die neuen Investoren noch die engagierten Ökobauern – sondern die alten Chefs der früheren DDRLPG’s.

Viele der sogenannten roten Junker (SPIEGEL 25/1995) wurden nach der Wende die neuen Herren der umgewandelten Betriebe. Einfache Bauern wurden oft unter dubiosen Umständen abgefunden oder rausgedrängt. 750 000 LPG-Mitglieder erhielten nur einen Bruchteil der Abfindungen, die ihnen zugestanden hätten. Bilanzen wurden manipuliert, Vermögenswerte unterschlagen oder unterbewertet. Die Friedrich-Schiller-Universität Jena hat festgestellt, dass mehr als 95 Prozent der LPG-Umwandlungen fehlerhaft waren, die meisten so, dass sie von den Registergerichten nicht hätten eingetragen werden dürfen.

Über diesen Prozess der Privatisierung hat der Mecklenburger Landwirt und Dozent für Agrarwissenschaften Jörg Gerke geforscht, er ist Mitautor des Buchs „Klassenkampf gegen die Bauern“, das demnächst erscheint. Der größte Skandal ist für Gerke, dass dieses LPGNachfolgebetriebe heute mit hohem Gewinn verkauft werden können, mitsamt dem Grund und Boden, den sie zu bevorzugten Bedingungen erworben hatten.

DDR-Agrarkader konnten demnach ab 1992 von der BVVG Land zu subventionierten Preisen von 2000 bis 2500 Euro pro Hektar erwerben. Jetzt können sie für ihre Scholle Preise bis zum zehnfachen verlangen – und eine Millionensumme kassieren.